Anhörung der Sachverständigen Fachjournalisten Robert Andreasch und Jonas Miller

Am 27.06.2022 startete der NSU-Untersuchungsausschuss mit seiner inhaltlichen Arbeit, indem er die BR-Journalisten Robert Andreasch und Jonas Miller als Sachverständige anhörte.

Diese schilderten ihren Recherchestand zu Verbindungen des NSU und seines Umfelds nach Bayern in ausführlichen Vorträgen. Anhand einer Vielzahl von Namen, Daten, Zitaten aus rechtsextremen Zeitschriften und privaten Briefen, Berichten von Treffen bei Konzerten einschlägiger Bands sowie in der Szene bekannten Gaststätten belegten die beiden Fachjournalisten kenntnisreich, die enge Vernetzung der rechtsextremen Szenen in Bayern, Thüringen und Sachsen. Dabei zeigten sie auf, welche Anknüpfungspunkte das Kerntrio des NSU in Bayern hatte.

Die Anhörung begann mit dem Vortrag von Robert Andreasch, der die rechtsextreme Szene in München schwerpunktmäßig in den Blick nahm. Dabei erläuterte Andreasch, dass sich in unmittelbarer Nähe zum Schlüsseldienst des NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides eine Wohngemeinschaft der Gruppe Skinheads Süd befand, von der Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre schwere rechtsextreme Straftaten ausgingen. Hier gäbe es beispielsweise einen Anknüpfungspunkt für tiefergehende Untersuchungen des Untersuchungsausschusses. Außerdem schilderte Andreasch anhand mehrerer Beispiele wie das im Jahr 2000 verbotene Neonazinetzwerk Blood & Honour und dessen Nachfolgestrukturen in München und Bayern aktiv waren. Andreasch wies darauf hin, dass es in Bayern eine über hundertjährige Geschichte terroristischer Attentate gebe und sagte in diesem Zusammenhang: „Da sind teilweise dieselben Personen, da sind dieselben Neonazi-Netzwerke beteiligt, die über Generationen und Jahre hinweg Wissen über terroristische Taten, Propaganda in der Szene weitergeben – und das muss durchbrochen werden.“

Der Fachjournalist Jonas Miller ging in seinem Vortrag speziell auf die rechtsextreme Szene Nürnbergs ein und erklärte dabei, dass es zum Zeitpunkt der NSU-Taten auch in Nürnberg eine aktive Blood & Honour Szene gab. Außerdem erwähnte er in seinen Ausführungen eine Nürnberger Gaststätte mit dem Namen „Tiroler Höhe“, in der in den 1990er Jahren immer wieder rechtsextreme Veranstaltungen stattgefunden hatten. Auf einer dieser Neonaziveranstaltungen am 18. Februar 1995 soll auch Uwe Mundlos als Gast anwesend gewesen sein und ein Aussteiger aus der Nürnberger Neonaziszene berichtete gegenüber den Nürnberger Nachrichten, dass sich das Kerntrio dort immer wieder getroffen haben soll.

Als bedeutenden Anknüpfungspunkt für tiefergehende Untersuchungen des Untersuchungsausschusses zu Verbindungen des NSU nach Bayern, nannte Miller die 2004 verbotene Fränkische Aktionsfront, bei der es sich um die wichtigste neonazistische Organisation im Großraum Nürnberg handelte. Einer ihrer Führungsfiguren befand sich zudem auf der so genannten „Garagenliste“ des NSU als Kontaktperson in Bayern. Miller schilderte darüber hinaus ein besonders eindrückliches Beispiel, dass darauf hindeutet, dass es eine Person, vermutlich aus dem Raum Nürnberg, gibt, die mindestens Mitwisser, wenn nicht sogar Mitglied oder Mittäter des NSU war. Grund hierfür ist, dass die Politik-Redaktion der Nürnberger Nachrichten kurz nach der Selbstenttarnung des NSU ein Bekenner-Video des NSU im Briefkasten erhalten hatte. Das Video befand sich jedoch in einem Umschlag ohne Briefmarke und ohne Poststempel. Die damals noch flüchtige und einzige überlebende Terroristin des NSU-Kerntrios, Beate Zschäpe, war zum Zeitpunkt des Posteinwurfs nachweislich nicht in Nürnberg und kam daher nicht als Überbringerin des Videos in Frage. Miller betonte abschließend in seinem Vortrag, dass nicht alle Spuren in die rechtsextreme Szene von den Behörden konsequent verfolgt wurden und nannte als Beispiel die in den Jahren 2006 und 2007 durchgeführten Gefährder*innenansprachen, in denen mehrere Neonazis gefragt wurden, ob sie mit der Mordserie etwas zu tun hätten oder jemanden kennen, der oder die das tut. Als die Befragten das verneinten waren die Ermittlungen beendet. Miller warf daher die Frage auf: „Wie kann es sein, dass es hier um eine Mordserie geht, um schwerste Straftaten und die Spuren so schnell beiseitegelegt werden?“

Im Anschluss an die Sachverständigenvorträge hatten die Mitglieder des Untersuchungsausschusses noch die Möglichkeit, Fragen an die Sachverständigen zu stellen, was ausgiebig genutzt wurde. Am Ende der gesamten Sachverständigenanhörung betonte der Vorsitzende des Untersuchungsausschuss Toni Schuberl, dass insbesondere auch die Strukturen von „Blood and Honour“‚ dessen militanten Arm „Combat 18“ sowie anderer rechtsextremer Netzwerke durch den Untersuchungsausschuss näher in den Blick genommen werden. Zudem werde man dort personelle Kontinuitäten nachprüfen und einen Überblick vom NSU-Unterstützer-Netzwerk erhalten.

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