Die siebte Sitzung am 11.Juli 2022

Anhörung der Überblickszeugen des GBA, BKA und LKA Bayern – Der NSU-Untersuchungsausschuss hörte in seiner 7.Sitzung am 11.07.2022 drei Überblickszeugen der Strafverfolgungsbehörden: Jochen Weingarten (Bundesanwaltschaft), Frank Heimann (BKA) und Lothar Köhler (LKA Bayern).

Alle drei machten umfangreiche Ausführungen zu den NSU-Ermittlungen. Bundesanwalt Jochen Weingarten behauptete, dass die Bundesanwaltschaft in ihren Ermittlungen, entgegen der weitläufigen Annahme in der Öffentlichkeit, nicht bereits von vorneherein von einem abgeschotteten Trio ausgegangen sei, sondern den Schwerpunkt der Ermittlungen auch auf „Helfer und Helfershelfer“ gelegt hätte. Daher wurde neben Beate Zschäpe insgesamt gegen 13 weitere Beschuldigte ermittelt und eine Reihe von Ermittlungsmaßnahmen getroffen, die Weingarten dem Ausschuss schilderte. Gegen neun Personen wurde jedoch bisher keine Anklage erhoben. Mittlerweile seien bei diesen Beschuldigten einige Straftaten bereits verjährt oder es könne kein Tatvorsatz nachgewiesen werden.

Als zentralen Grund für die gescheiterten Ermittlungen bis zur Selbstenttarnung des NSU sieht Weingarten die fehlende Tatbekennung der rechtsterroristischen Gruppe an. Der Staatsschutz sei in der Vergangenheit vor allem durch die Ermittlungen gegen die linksterroristische RAF und gegen islamistische Terrorgruppen geprägt worden, bei denen im Regelfall Tatbekenntnisse vorlagen. Weingarten sagte, dass gleichwohl die „Einschüchterungswirkung in der betroffenen Gruppe groß war“ und äußerte sich in diesem Zusammenhang auch über die rechtsextreme Band „Gigi und die Braunen Stadtmusikanten“. Diese hatte im Juni 2010, also über ein Jahr vor der Selbstenttarnung des NSU, den „Döner Killer Song“ veröffentlicht, in welchem die Band den Täter der Ceska-Mordserie an neun Personen mit Migrationshintergrund glorifizierte. Weingarten sagte über die rechtsextreme Musikgruppe „Sie wussten nicht mehr, verstanden aber die Botschaft der Täter“.

Zur Frage nach möglichen lokalen Unterstützer*innen des NSU-Kerntrios bei den Tatortausspähungen, kommt Weingarten zu einem recht überraschenden Urteil, da er davon ausgeht, dass es jenseits von Spekulationen „keine Hinweise auf Unterstützer vor Ort“ geben würde. Die Bundesanwaltschaft geht stattdessen davon aus, dass das Kerntrio sich praktisch „hauptamtlich“ dem Aussuchen von Zielen widmete. Diese Einschätzung widerspricht diametral den diesbezüglichen Ausführungen der bisher im Untersuchungsausschuss gehörten Sachverständigen und sachverständigen Zeug*innen. Diese machten in ihren Vorträgen oder im Rahmen der Fragerunde plausibel deutlich, dass es sehr wohl Hinweise für lokale Tatortausspähungen gab, die wahrscheinlich nicht vom NSU-Kerntrio durchgeführt wurden. Insgesamt finden sich auf den diversen Adresslisten und Dateien, welche in der Unterkunft des Trios sichergestellt wurden, über 10.000 Adressen mit potenziellen Anschlagszielen in der ganzen Republik. Zu zahlreichen möglichen Zielen, auch in Bayern, lagen dem NSU-Kerntrio teilweise detaillierte Ausspähnotizen vor. Einige der Anschlagsziele in Bayern waren von außen überhaupt nicht als Ladenlokale von Inhabern mit Migrationshintergrund erkennbar. Andere wurden erst kurz vor den Anschlägen von neuen Besitzern übernommen. Es ist kaum vorstellbar, dass der NSU alle diese Ziele ohne ortskundige Helfende ausfindig machen konnte.

Auch Weingarten räumte in seinem Vortrag ein, dass nur 64 Fahrzeuganmietungen im gesamten Zeitraum des Untertauchens des NSU-Kerntrios (26. 01.1998 bis 04.11.2011) rekonstruiert werden konnten, was für diese lange Dauer wenig ist. Daher musste auch der Bundesanwalt eingestehen, dass es noch deutlich mehr Lücken im Leben des NSU-Kerntrios gibt als rekonstruierbare Zeitabschnitte. Die Opferauswahl des NSU soll seinen Angaben zufolge anhand der folgenden Fragestellungen getroffen worden sein: „Ist das Opfer in der Zielstellung geeignet (Mann, Zeugungsfähig)? Gibt es gute Fluchtmöglichkeiten vom Tatort?“ Die konkreten Gründe der jeweiligen Opferauswahl liegen jedoch bis heute im Dunkeln und auch die Tatortauswahl des NSU wirft weiterhin Fragen auf, da das Kerntrio in mehreren Fällen ein hohes Entdeckungsrisiko einging. Auch das wurde in mehreren Vorträgen bisher gehörter Sachverständiger sowie Sachverständiger Zeug*innen vor dem NSU-Untersuchungsausschuss veranschaulicht.

Auch die beiden anderen Überblickszeugen von BKA und LKA gaben an, dass es trotz umfangreicher Ermittlungen keine Hinweise auf regionale Unterstützer*innen des NSU gebe. So konstatierte z.B. der leitende Kriminaldirektor vom BKA, Frank Heimann, im Hinblick auf Kontakte des NSU-Kerntrios nach Bayern: „Es existierten langjährige Beziehungen zu Personen nach Bayern. Kontakte in die bayerische Szene nach 1998 konnten jedoch nicht festgestellt werden.“ Der leitende Kriminaldirektor Lothar Köhler vom bayerischen LKA berichtete in seinem Vortrag über die umfangreichen Ermittlungen des LKA Bayern zum NSU und gab dabei an, dass auch mögliche Verbindungen des NSU zur neonazistischen Organisation „Aktionsbüro Süd“ überprüft worden seien. Mehrere Mitglieder dieser Organisation wohnten in Sichtweite der Trappentreustraße, wo am 15. Juni 2005 Theodoros Boulgarides durch den NSU ermordet wurde. Konkrete Hinweise zu Kontakten des NSU zur Gruppe um Martin Wiese seien vom LKA Bayern jedoch nicht gefunden worden.

Obwohl es jahrelange Ermittlungen zum NSU gab, blieben allerdings auch bei Sicherheitsbehörden Fragen offen. So ist beispielswiese noch immer unklar, woher die meisten, bei dem NSU-Kerntrio gefundenen, Waffen stammen und Lothar Köhler fragte mit Blick auf die Tatorte „Warum gibt es diese Häufung an Taten in Nürnberg?“ Seine Hypothese dazu war, dass der NSU dort Kennverhältnisse von früher hatte und sich dort auskannte. Insgesamt wurde anhand der Ausführungen der Überblickzeugen deutlich, dass die Einschätzungen von GBA, BKA und LKA Bayern zum NSU noch immer stark von der Trio-Theorie geprägt sind, obwohl es mittlerweile zahlreiche Hinweise auf ein NSU-Netzwerk gibt.

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