10. Sitzung am 13. Oktober 2022

In dieser Sitzung wurde mit der inhaltlichen Beweisaufnahme im zweiten Untersuchungsausschuss zum NSU im Bayerischen Landtag gestartet. Schwerpunkt war dabei die Vernehmung von hochkarätigen Zeugen zum „Taschenlampenanschlag“ auf die Gaststätte ‚Sonnenschein‘ am 23. Juni 1999 in Nürnberg. Der UA hat in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung, da dieser Anschlag weder Gegenstand im ersten UA im Bayerischen Landtag noch im NSU-Prozess war.

Die Sitzung begann mit der Vernehmung von Carsten S. unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen. S. wurde im Münchener NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord zu einer dreieinhalbjährigen Jugendstrafe verurteilt. Er hat dem NSU die Ceska-Pistole beschafft, mit der dieser neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet hat. Seine Aussage im Prozess hat dazu geführt, dass der Nürnberger Anschlag überhaupt dem NSU zugeordnet werden konnte. Carsten S. hat sich als einziger Angeklagter im NSU-Prozess glaubhaft von der rechten Szene distanziert und Aussagen zu seiner eigenen Tatbeteiligung gemacht. Er ist bereits zum Ende des Jahres 2000 aus der Szene ausgestiegen, hat sein Wissen zum NSU aber erst nach der Enttarnung des Trios offenbart. S. war zwischen 1997 und 2000 sowohl im ‚Thüringer Heimatschutz‘ aktiv, der Gruppierung in der auch das NSU-Kerntrio organisiert war, als auch ein wichtiger Funktionär der NPD und ihrer Jugendorganisation ‚Junge Nationaldemokraten‘. Er war zeitweilig die einzige direkte Kontaktperson zwischen dem untergetauchten Trio und der Unterstützerszene in Thüringen.

S. erklärte, dass Böhnhardt und Mundlos ihm gegenüber bei einem Treffen in dem Restaurant eines Kaufhauses erklärt hätten, dass ein Anschlag mit einer Taschenlampe in Nürnberg schief gegangen sei. Er habe sich damals u.a. zur Waffenübergabe mit dem Terror-Trio, welches er von vorherigen Treffen bereits gekannt habe, getroffen. Als die beiden Männer dann gemerkt hätten, dass Zschäpe dazu komme, sei das Gespräch abrupt beendet worden. An die Erwähnung weiterer Taten vor dem Anschlag in Nürnberg im Juni 1999 könne er sich nicht erinnern. Er beschrieb sein Verhältnis zu den dreien als gut. Sie hätten sich mehrfach bei ihm für seine Dienste bedankt. Er habe von einer Telefonzelle aus zu bestimmten Zeiten eine Handynummer angerufen, um die drei zu erreichen. Inhaltlich sei es bei den Telefonaten z. B. um die Versorgung mit Geld gegangen. Ralf Wohlleben habe sich um weiteres gekümmert. 

Obwohl sich Carsten S. zwischen 1997 und 2000 regelmäßig zu rechtsextremen Demonstrationen, Veranstaltungen und Konzerten in Bayern aufgehalten hat, konnte oder wollte er keine brauchbaren Angaben zu seinen Kontakten in die bayerische militante Neonaziszene machen. Hier berief er sich immer wieder bei den genauen Vorhalten zu einzelnen Ereignissen in Bayern auf große Erinnerungslücken. Obwohl er keine juristische Verfolgung mehr zu befürchten hat und im Zeugenschutzprogramm des BKA ist, bestätigte er lediglich die Ereignisse, die bereits im Münchener Prozess aktenkundig geworden sind.

Es folgte dann die Vernehmung von Markus Dienst , der zur Zeit seiner Ermittlungen Oberstaatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft war. Dienst ging umfangreich auf die Ermittlungen des Generalbundesanwalts ein. Er räumte ein, dass die Aussagen von S. überhaupt erst zur Zuordnung des Taschenlampenanschlags im Rahmen der NSU- Anschlagserie führten. Die Ähnlichkeit der Anschläge und vor allem der Bauart der Bomben würden laut Dienst keinen Zweifel daran lassen, dass es sich beim Taschenlampenanschlag um das NSU-Trio handeln muss. Unterstützt sieht Dienst dies auch in der Weiterentwicklung der Komplexität der Bauart der Rohrbomben. Während das NSU-Trio vor dem Abtauchen eher simple Rohrbomben hergestellt hat, wäre bei der Nürnberger Taschenlampenbombe eine Entwicklung und ein Dazulernen in der Bauart zu erkennen.

Dienst ließ außerdem keinen Zweifel daran aufkommen, dass aus seiner Sicht der Anschlag den Tatbestand des versuchten Mordes erfüllt. Hierfür spräche laut Dienst, dass nur ein technischer Fehler dazu geführt hat, dass es zu keinen tödlichen Verletzungen gekommen ist. Die grobe Fehleinschätzung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth aus dem Jahre 1999 den Anschlag nur als „fahrlässige Körperverletzung“ zu werten, hatte dann auch zwei wichtige Folgen. Erstens würde laut Dienst generell, also ohne sich auf den Fall selber zu beziehen, bei einer Einschätzung des versuchten Mordes der Tatort genauer untersucht werden. Auch hätte man die Befragung der Nachbarschaft viel intensiver betrieben. Es hätte außerdem zur Bauart des Sprengsatzes ein detailliertes Gutachten gegeben und nicht nur ein Laborjournal, welches sich auf eine Seite begrenzt. Zweitens wäre die Bombe als Asservat nicht bereits ein Jahr später als Schaustück in der Ausbildung der Polizei verwendet worden. Denn dadurch wurde die Bombe  als Beweisstück im Zuge der neuen Ermittlungen unbrauchbar, da DNA- Analysen und Fingerabdrücke des NSU – Trios nicht mehr rekonstruiert werden konnten.

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