Ablehnungen wichtiger Beweisanträge durch die Regierungsparteien und Anhörung des sachverständigen Zeugen Lars Rohwer sowie des Sachverständigen Oliver Bendixen.
Die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 14.07.2022 war in mehrfacher Hinsicht denkwürdig. Gleich zu Beginn brachte die CSU einen nicht vorab kommunizierten Geschäftsordnungsantrag zur Änderung der Tagesordnung ein. Deshalb erfolgten die Zeug*innenanhörungen erst nach dem nicht-öffentlichen Teil zu Verfahrensfragen und der anschließenden öffentlichen Bekanntgabe der Ergebnisse. Diese hatten es jedoch in sich, denn der Ausschussvorsitzendende Toni Schuberl verkündete, dass die Abgeordneten der Regierungsparteien CSU und FW im Untersuchungsausschuss bei Abwesenheit der AfD gleich drei gemeinsame Anträge der Grünen, SPD und FDP zur Aufklärung der Datenlöschungen im Fallbearbeitungssystem „EASy“ der bayerischen Polizei abgelehnt haben.
Zu diesen Datenlöschungen war es nach Auskunft des bayerischen Staatsministeriums des Inneren (StMI) am 21. Oktober 2021 durch ein fehlerhaftes Wartungsskript gekommen. Insgesamt wurden über eine halbe Million Daten zu 29.000 Personen gelöscht, die eigentlich unter das Löschmoratorium zur Aufklärung der NSU-Mordserie gefallen wären. Eine Ablehnung von Beweisanträgen hat es in dieser Massivität noch nie gegeben! CSU und Freie Wähler versuchen auf diesem Weg die Aufklärung der Datenlöschung beim Landeskriminalamt zu verhindern. Bereits in der Sitzung am 11.07.2022 wurde durch die Ausschussmehrheit von CSU und FW ein von Grünen, SPD und FDP geforderter Regierungsbericht zu den staatlichen Maßnahmen zur Aufklärung des NSU-Komplexes abgelehnt.
Die zurückgewiesenen Anträge zu den Datenlöschungen zielten allesamt darauf ab, dessen Hintergründe restlos aufzuklären. Im ersten Beweisantrag sollte dem Untersuchungsausschuss Beweismittel zum Umgang mit den Löschmoratorien sowie weiteren möglichen regulären und irregulären Aktenvernichtungen und Datenlöschungen seitens der Staatsregierung vorgelegt werden. Die geforderten Auskünfte zu Löschungen von Akten, Dokumenten, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Daten und sonstiger Beweismittel hätten sich dabei lediglich auf eine Liste mit Personen aus dem tatsächlichen oder potenziellen NSU-Umfeld bezogen. In einem zweiten Beweisantrag sollten Programmierer*innen der Softwarefirma sowie Systemadministrator*innenen des LKA zu dem fehlerhaften Wartungsskript und der angeblich irrtümlichen Datenlöschung im Fallbearbeitungssystem „EASy“ der bayerischen Polizei als Zeug*innen befragt werden. Ziel des dritten abgelehnten Beweisantrags wäre die Beauftragung des Bayerischen Datenschutzbeauftragen Prof. Dr. Thomas Petri als Sachverständigen zur Untersuchung der Datenlöschung gewesen. So hätte Petri die Aussagen des StMI und des LKA Bayern zu dem Fall als unabhängiger Gutachter überprüfen können. Außerdem hätte der Datenschutzbeauftragte dem Ausschuss einen schriftlichen Bericht zu dem Fall vorlegen sollen. Die Abgeordneten der CSU und FW begründeten ihre ablehnende Haltung zu den Beweisanträgen hinsichtlich der Datenlöschungen damit, dass diese angeblich nicht vom Untersuchungsauftrag gedeckt seien. Gleichzeitig verabschiedeten sie jedoch mit ihrer Ausschussmehrheit einen eigenen, deutlich weniger umfassenden Antrag zu den Datenlöschungen.
Nachdem der Ausschussvorsitzende darüber informierte, dass die abgelehnten Beweisanträge nun im Plenum debattiert werden, informierte er noch über weitere, diesmal aber einvernehmlich verabschiedete Beweisanträge u.a. zu Aktenbeiziehungen.
Anschließend hörte der Untersuchungsausschuss den sachverständigen Zeugen Lars Rohwer an. Rohwer war Vorsitzender des 2. NSU-Untersuchungsausschuss in Sachsen und stellvertretendes Mitglied im ersten sächsischen Untersuchungsausschuss. Er betonte, dass der von ihm geleitete Ausschuss zwar keine nachweisbare Schuld sächsischer Behörden gefunden habe, aber sehr wohl eine „inkongruente Weitergabe der Informationen zwischen den beteiligten Sicherheitsbehörden“. Er ist aufgrund der durchgeführten Zeug*innenbefragungen außerdem der Ansicht, dass wohl bessere Resultate bei der Suche nach dem NSU-Kerntrio gelungen wären, wenn bei den Ermittlungen nicht so viele Ermittlungsbeamt*innen lediglich „Dienst nach Vorschrift“ gemacht hätten. Rohwer geht auch davon aus, dass „viele Spuren in die Neonaziszene (…) noch nicht ausgeleuchtet“ seien.
Im Hinblick auf NSU-Bezüge nach Bayern, die im Rahmen der Arbeit der beiden Untersuchungsausschüsse deutlich wurden, erwähnte Rohwer relevante Personen und Protokolle, die der NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern näher beleuchten sollte. Er verwies in diesem Zusammenhang zum Beispiel auf eine Zeug*innenvernehmung des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses zu einer Informationsveranstaltung der Ceska-Ermittlungsgruppe und der BAO Bosporus aus dem Jahr 2007.
Nach der Befragung Rohwers und einer anschließenden Fragerunde hörte der Untersuchungsausschuss den Journalisten Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk als Sachverständigen an. Bendixen war von 1985 bis 2016 Polizeireporter und berichtete im Rahmen dieser Tätigkeit auch über die Ermordungen von Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides in München, die sich später als NSU-Morde herausstellten. Der ehemalige BR-Reporter informierte den Ausschuss über die damalige Polizeiarbeit im Rahmen der Ermittlungen. Diese waren stark von einem angeblichen Bezug der NSU-Mordopfer in die Organisierte Kriminalität geprägt, für den sich jedoch nie tatsächliche Anhaltspunkte ergaben. Bendixen sagte auch, dass der Ersteller der zweiten operativen Fallanalyse, Alexander Horn, ihm gegenüber geäußert habe, dass ihn die Ceska-Mordserie „ein bisschen an den Fall des ,Laserman‘ erinnere“, der in Schweden 1991/92 aus rassistischen Gründen auf Personen mit Migrationshintergrund schoss und dabei eine Person tötete. Allerdings sei das BKA nach seiner Erinnerung zum Zeitpunkt von Horns Äußerung weiter von einem OK-Bezug ausgegangen, auf dem die Behörde auch beharrte.
Bendixen berichtete dem Ausschuss darüber hinaus, dass er im Jahr 2010 einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Auf der Suche nach dem Döner-Killer“ veröffentlicht hat. Er betonte, dass er den rassistischen Begriff „Döner-Morde“ zwar nicht erfunden hätte und diese Verwendung aus heutiger Sicht „unverantwortlich“ sei, offenbarte jedoch zugleich, dass er damals die Entscheidung der federführenden Redaktion für den rassistischen Dokumentartitel mitgetragen habe. Nach Aussagen von Frau Şimşek, die zu Recht darauf verwies, dass kaum ein Opfer der Ceska-Mordserie Dönerverkäufer war, sage er, dass ihm jedoch „damals schon klar war, dass das ein bisschen schief liegt“. Eine Debatte zu diesem Dokumentationstitel habe es innerhalb des BR zudem nicht gegeben.
Seine Angaben machen deutlich, dass auch die Rolle der Medien in den fehlgeleiteten NSU-Ermittlungen nicht zu unterschätzen ist, da eine kritischen Begriffsreflexion, die dringend notwendig gewesen wäre, zum damaligen Zeitpunkt ausblieb.
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