Bekanntgabe von weiteren Datenlöschungen mit NSU-Bezug durch bayerische Behörden und Vorladung zusätzlicher Zeug*innen
Nachdem die Sommerpause für eine intensive Aktenauswertung genutzt worden war, begann der Herbst für den NSU-Untersuchungsausschuss sogleich mit einem Paukenschlag. Das Staatsministerium der Justiz musste in der 9.Sitzung des Ausschusses nämlich einräumen, dass es auch im Bereich der Justiz zu zahlreichen Verstößen gegen das Löschmoratorium für Akten und Unterlagen mit NSU-Bezug gekommen ist. Für den Geschäftsbereich der Justiz gab es vom 22. August 2012 bis zum 31. März 2014 ein umfassendes Verbot zur Aussonderung von Ermittlungsakten. Trotzdem wurden in diesem Zeitraum die Aktenbestände zu 20 Strafverfahren teilweise oder vollständig vernichtet. Die geschredderten Akten betreffen sieben hochrangige bayerische Neonazifunktionäre, die alle namentlich im Untersuchungsauftrag des NSU-UA aufgeführt werden. Allein sechs Verfahrensakten zu dem ehemaligen V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes, Kai Dalek, wurden gelöscht. Zudem sind mehrere Verfahren gegen den ehemaligen Anführer von Blood & Honour Franken, Bernd P., den Chef der Fränkischen Aktionsfront, Matthias F., und den verurteilten Neonaziterroristen und ehemaligen Anführer der Kameradschaft Süd, Martin W., gelöscht worden.
Das Justizministerium musste in der Sitzung zugeben, dass es nach Ablauf des Löschmoratoriums im März 2014, trotz einschlägiger Anordnungen zur Archivierung und Aufbewahrung sämtlicher Unterlagen mit einem Bezug zur NSU-Mordserie, zu weiteren Aktenvernichtungen gekommen ist. Überprüft wurde bisher nur ein Kreis von 45 Personen, die namentlich im Einsetzungsantrag zum Untersuchungsausschuss erwähnt werden. Die Grünen fordern nun, dass ein wesentlich größerer Kreis an möglichen NSU-Unterstützer*innen im Hinblick auf möglichen Aktenvernichtungen und Datenlöschungen überprüft wird.
Cemal Bozoğlu, Mitglied der Grünen Fraktion im Untersuchungsausschuss, kommt angesichts der weiteren Datenlöschungen zu einem eindeutigen Urteil: „Bereits im Juni haben wir von umfangreichen Datenlöschungen im zentralen Fahndungssystem des bayerischen LKA erfahren. Nun folgt die Vernichtung wichtiger Akten bei einem halben Dutzend Staatsanwaltschaften. Offenbar waren die geltenden Löschmoratorien in Bayern löchrig wie ein Schweizer Käse. Die Aktenvernichtungen betreffen Personen, die für die Aufklärung des Untersuchungsausschusses von zentraler Bedeutung sind. Wir vermuten, dass es sich bei den bisher bekannt gewordenen Fällen nur um die Spitze des Eisbergs handelt und werden uns deshalb weiter für die lückenlose Aufklärung des Löschskandals einsetzen.“
Außerdem beschäftigte sich der Untersuchungsausschuss in dieser Sitzung mit dem Umgang mit digitalisierten Akten und klärte hierzu Fragen mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern (StMI). Darüber hinaus traf der Ausschuss einige Beschlüsse. Vereinbart wurde die Einholung einer Behördenauskunft zu den Datenlöschungen, eine Reihe von Aktenbeiziehungen im Geschäftsbereich des StMJ, die Vorladung weiterer Zeug*innen zum Taschenlampenanschlag sowie die Zeugenvorladung des ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein. Er leitete in Bayern zwischen 1993 und 2007 das Innenministerium und soll im kommenden Jahr zu unterschiedlichen Tatkomplexen aussagen. Der Ausschuss erhofft sich durch seine Vernehmung zu erfahren, wie die Ermittlungen genau verliefen, auf welche Weise die Polizeibehörden agierten und ob es bereits damals erkennbar gewesen wäre, dass die NSU-Taten in Bayern rechtsextrem motiviert waren. Die geplante Zeugenvernehmung von Riza B. zum Taschenlampenanschlag konnte leider nicht stattfinden, da dieser nicht erschienen war.
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