Nach der zweiten Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 02. Juni besuchten die Teilnehmenden die beiden Münchener NSU-Tatorte in der Bad-Schachener und der Trappentreustraße. In der Bad-Schachener-Straße in München-Ramersdorf wurde der Inhaber Habil Kılıç am 29.August 2001 am helllichten Tag mit zwei Kopfschüssen in seinem Lebensmittelladen ermordet. Der Laden befindet sich nur gut 100 Meter von einer großen Polizeiwache entfernt. Die Lage des Tatorts und der Ablauf der Tat machen deutlich, dass der Mord mit einer erstaunlichen Kaltblütigkeit verübt wurde.
Danach besuchte der Ausschuss den ehemaligen Schlüsseldienstladen von Theodoros Boulgarides in der Trappentreustraße im Münchener-Westend. Boulgarides hatte das Geschäft erst zwei Wochen vor seiner Ermordung mit drei Kopfschüssen am 15.Juni 2005 eröffnet. Von außen gab es keinen Hinweis, dass der Schlüsseldienst von einem Inhaber mit Migrationsgeschichte geführt wurde. Das Ladenlokal lag an einer sehr belebten Straße. In unmittelbarer Nähe befinden sich eine Bar, eine Gaststätte und weitere Geschäfte. Direkt gegenüber dem Laden liegt zudem eine Bushaltestelle und die stark befahrene Auffahrt zum Mittleren Ring in München. Die Täter konnten also nicht davon ausgehen, dass sie in einer so belebten Gegend unerkannt fliehen können.
Wir müssen von zwei eiskalt durchgeführten Ermordungen in München sprechen. Die Täter waren dabei jeweils bereit ein relativ hohes Risiko der Entdeckung einzugehen. Bei beiden Tatorten handelt es sich um jeweils kleine Ladenlokale, deren Außengestaltung keinen Hinweis auf Inhaber mit Migrationshintergrund gibt und die ohne besondere Ortskenntnisse kaum ausfindig zu machen sind.
Am 20. Juni 2022 führten die Mitglieder und Mitarbeiter*innen des NSU-Untersuchungsausschuss zur inhaltlichen Vorbereitung der Ausschussarbeit dann eine weitere Tatortbegehung in Nürnberg durch. Diese wurde von einem Mitarbeiter des Nürnberger Polizeipräsidiums begleitet, der sehr sachkundig Erläuterungen zu den einzelnen Tatorten gab und den Teilnehmenden damit ermöglichte, sich ein besseres Bild zu den Orten und ihrer Umgebung zu machen, an denen die Verbrechen des NSU in Nürnberg stattfanden.
Die Tatortbegehung begann mit einem Besuch in der Scheurlstraße in der Nürnberger Südstadt, wo früher die Pilsbar „Sonnenschein“ war und sich heute eine neue Bar befindet, welche von den Teilnehmenden der Sitzungsreise besichtigt wurde. Hier fand am 23. Juni 1999 ein Sprengstoffanschlag auf den Inhaber des Lokals Mehmet O. statt, der bei dem Attentat schwer verletzt wurde. Nach bisherigem Erkenntnisstand handelte es sich auch um den ersten Anschlag des NSU.
Anschließend wurde der Tatort in der Scharrerstraße besucht, wo sich früher der Imbisstand von İsmail Yaşar befand, den der NSU am 09. Juni 2005 mit fünf Schüssen in Kopf und Oberkörper ermordet hatte. Ismail Yasar war durch sein freundliches Wesen und seine Hilfsbereitschaft im ganzen Stadtviertel beliebt und bekannt. In unmittelbarer Nähe zum Tatort wurde ein Platz vor einer Kirche in Ismail-Yasar-Platz umbenannt.
Danach wurde der Tatort in der Gyulaer Straße besucht, in dem sich früher die Änderungsschneiderei von Abdurrahim Özüdoğru befand. Der NSU ermordete ihn dort am Nachmittag des 13. Juni 2001 mit zwei Kopfschüssen. Özüdoğru war das zweite Mordopfer des NSU. Die Tatortbegehung endete mit einem Besuch am Enver Şimşek- Platz, wo der mobile Blumenstand von Enver Şimşek war. Der NSU verletzte ihn dort als erstes Opfer am 09. September 2000 mit insgesamt acht Schüssen so schwer, dass er zwei Tage später im Krankenhaus verstarb, Şimşek war am Tag der Tat nur zufällig am Tatort, da ein Mitarbeiter kurzfristig erkrankt war und er deshalb einspringen musste. Der Tatort liegt in der Nähe des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes im Nürnberger Stadtteil Langwasser und ist für Ortsunkundige nur schwer ausfindig zu machen, da der mobile Blumenstand nur an bestimmten Tagen geöffnet hatte.
Die Auswahl der Tatorte, von denen manche von außen nicht auf Inhaber mit Migrationshintergrund schließen ließen, war nach Ansicht einiger Abgeordneter nur schwer ohne ortskundige Unterstützer*innen vorstellbar. Übereinstimmend wurde von den Teilnehmer*innen auch hervorgehoben, dass bei den Tatortbegehungen eine immer höhere Risikobereitschaft im Vorgehen der Täter deutlich wurde, da mit Ausnahme des Enver Şimşek- Platzes alle weiteren Tatorte in belebten Wohngegenden lagen. Am Ende der eindrücklichen Ausschussreisen nach München und Nürnberg betonten die Teilnehmer*innen, wie wichtig diese gerade im Vorfeld des bald beginnenden Aktenstudiums und der Zeugenladung für die Ausschussarbeit sei.
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