11. Presse-Briefing: Alarmierende Erkenntnisdefizite setzen sich fort

Der NSU-Untersuchungsausschuss beschäftigte sich in seiner 14. Sitzung am 21.11.2022 mit der Versendung des NSU-Briefs aus dem Jahr 2002.

Dazu Cemal Bozoglu: „Die Erkenntnisdefizite sind alarmierend. Wir haben in der Sitzung leider deutlich gemerkt, dass die behördlichen Defizite im Wissen um die rechtsextreme Szene eklatant waren.“

Mit diesem Brief hatte die rechtsterroristische Organisation Spenden an rechtsextreme Fanzines versendet. Dafür bedankt sich die die rechtsextreme Zeitschrift „Der Weisse Wolf“ in seiner 18. Ausgabe explizit mit folgender Passage: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen 😉 Der Kampf geht weiter…“ Zur Klärung offener Fragen hat der Ausschuss eine Reihe von Zeug*innen vernommen. Leider haben die beiden behördlichen Zeug*innen praktisch keine neuen Erkenntnisse geliefert, die nicht bereits aus Akten ersichtlich gewesen wären. Zudem zeigten sich im Rahmen ihrer Vernehmung enorme behördliche Defizite im Wissen um die rechtsextreme Szene Bayern. So sagte z.B. der ehemalige Staatsschützer KHK Leicht, dass er vom Umzug des damaligen Ehepaars Maik und Silvia Fischer, die beide zum damaligen Zeitpunkt sehr relevante Protagonisten der rechtsextremen Szene in Bayern waren, erst Jahre später erfahren habe.

Als sehr problematisch ist zu auch zu werten, dass das bayerische Innenministerium dem Untersuchungsausschuss mit der ehemaligen Verfassungsschützerin Stefanie S. jemanden als Zeugin geschickt hat, deren Schwerpunkt vor ihrer Tätigkeit gar nicht im Bereich „Rechtsextremismus“ lag und die im relevanten Zeitraum des NSU-Briefs nicht für die Auswertung von rechtsextremen Fanzines verantwortlich gewesen ist. Die Vernehmung der Zeugin Silvia Endres (früher Fischer), früher stellv. Bundesvorsitzende der HNG, die zudem Artikel u.a. im rechtsextremen Fanzine „Der Weisse Wolf“ ihres früheren Ehemannes Maik Fischer veröffentlichte, brachte zwiespältige Ergebnisse. Einerseits betonte die Zeugin ausdrücklich, dass sie bereut, in der rechtsextremen Szene gewesen zu sein, in der sie damals mit vielen zentralen Protagonist*innen im In- und Ausland vernetzt war. Andererseits konnte sie sich aber z.B. nicht erinnern, wie ihr damaliger Briefwechsel mit Uwe Mundlos, immerhin einem der späteren Mitglieder des NSU-Kerntrios, zustande gekommen war. Auch konnte sie nicht benennen, wie lange sie genau für die HNG tätig war, die bis zu ihrem Verbot 2011 die bedeutendste lagerübergreifende Organisation im rechtsextremen Spektrums Deutschlands war. Konkretere Inhalte zu Kontakten zu anderen Akteur*innen der rechtsextremen Szene im Rahmen ihrer Tätigkeit für die HNG konnte sie nur selten mitteilen. Eine interessante Ausnahme bildet aber ihre Aussage zu dem zentralen Akteur der rechtsextremen Szene und V-Mann Kai Dalek, der laut Angaben der Zeugin die „Skinheadszene im bayerischen Kronach politisiert und für Parteien angeworben“ habe. Im Hinblick auf ihre Rolle bei dem rechtsextremen „Fanzine“ betonte sie immer wieder nicht Mitglied der Redaktion gewesen zu sein, sondern nur Leserbriefe geschrieben zu haben. Gleichwohl erschienen mehrere Artikel von ihr darin und auch, wenn in anderen Fanzines auf sie Bezug genommen wird, wirkt es so, als wäre ihre Rolle in der Zeitschrift bedeutender gewesen. So bleiben auch nach ihrer Vernehmung viele Fragen zu ihrer Rolle in der rechtsextremen Szene Bayerns offen.

Wichtig: In der nächsten Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss wird mit Tino Brandt ein besonders interessanter Zeuge erwartet, der in der rechtsextremen Szene Thüringens und darüber hinaus eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat. Brandt war jahrelang als V-Mann des Verfassungsschutzes tätig und hat auch mit dem Geld des Nachrichtendiensts den Thüringer Heimatschutz aufgebaut. Er hatte selbst nach dem Untertauchen des NSU-Kerntrios Kontakt mit diesen und soll zu unterschiedlichen Tatkomplexen befragt werden. Dabei soll er insbesondere Auskunft über die NSU-Verbindungen nach Bayern geben.

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