Presse-Briefing Nr. 19: Neo-Nazi Wohnung in Nürnberg: „Einen Schlüssel hatten die Thüringer.“

In der 24. Sitzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses waren Christian W. und Andreas K. vorgeladen, um dem Ausschuss zur früheren Neo-Nazi Szene in Nürnberg und ihren eigenen Verstrickungen in die rechte Szene Rede und Antwort zu stehen.

W., war in den 90er und 00er Jahren ein führender Aktivist der rechtsextremen Szene in Nürnberg. Er war von 2001 bis 2005 im Vorstand des NPD-Kreisverbandes Nürnberg, im Vorstand des NPD-Bezirksverbandes Mittelfranken und zwischen 2001 und 2004 eine führende Figur in der – im Jahr 2004 verbotenen – „Fränkischen Aktionsfront“ (F.A.F.).

W. behauptete im Ausschuss seit 2005 nicht mehr politisch aktiv zu sein. Angeblich habe er nahezu keine Neo-Nazis außer seiner Parteifreunde in der NPD-Spitze gekannt. Ihm sei es immer darum gegangen „junge Menschen“ zur Partei zu bringen, dafür habe er die F.A.F. ausschließlich genutzt. Obwohl der Zeuge zeitweise mit Mandy Struck liiert war, die dem NSU-Trio bei der Wohnungssuche geholfen hat und deren Personalien Beate Zschäpe teilweise als Tarnidentität dienten, habe er zu der Thüringer Neo-Nazi Szene keinen direkten Kontakt gehabt. Dies widerspricht jedoch Aussagen von Szeneinsidern und den bisherigen Recherchen des Ausschusses, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass W. das spätere NSU-Trio zumindest vor seinem Abtauchen gekannt haben muss. Auch an anderen Punkten hat W. im Ausschuss nicht die Wahrheit gesagt. Tatsächlich war der Zeuge mindestens bis zum Jahr 2007 in der Neo-Nazi Szene aktiv und organisiert. Insgesamt also fast 15 Jahre. In der Szene wurde laut Aussage von W. bereits im Jahr 2004, also noch vor den Gefährderansprachen der BAO BOSPORUS, über die Morde an migrantischen Kleingewerbetreibenden geredet. W. gehörte außerdem zu den Kunden des Blumenhändlers Enver Simsek, der im Jahr 2000 zum ersten Mordopfer des NSU wurde. Die Vermutung liegt nahe, dass W. tatsächlich immer noch Neo-Nazi ist. Er erschien vor dem Untersuchungsausschuss in Begleitung eines Mannes, der eine kaum verdeckte auffällige Blood & Honour-Tätowierung auf dem Kopf trug.

Cemal Bozoğlu erklärt dazu: „Insgesamt hat der Zeuge Christian W. auf mich einen sehr unkooperativenen Eindruck gemacht und sogar öffentlich bekannte Erkenntnisse versucht zu vertuschen. Sein gesamtes Auftreten im Untersuchungsausschuss war respektlos. Demgegenüber war der zweite Zeuge Andreas K., deutlich offener in seinen Antworten und hat bei uns für neue Erkenntnisse gesorgt.“

Andreas K. stieg während seiner Haftzeit zwischen 2001 und 2003 mit Hilfe des Verfassungsschutzes aus der rechtsextremen Szene aus. Er konnte aber deutlich machen, dass es schon in den 90er Jahren enge Kontakte der Nürnberger Neo-Nazis zu Neo-Nazis in Thüringen um die Kameradschaft Jena und die Anti-Antifa-Thüringen gab, aus denen später der NSU entstanden ist. Die Kontakte liefen nach Aussage von K. zur damaligen Zeit vor allem bei Matthias F. zusammen. Brisant war die Information, dass für die Wohnung, in der das NSU-Kerntrio gelegentlich in Nürnberg-Mögeldorf gewohnt hat, jeweils eine Person aus Nürnberg, Neumarkt und Thüringen einen Schlüssel zur Verfügung hatte. Diese Wohnung war ein bekannter Treffpunkt für Neo-Nazis aus der ganzen Region, was der Polizei auch bekannt war.

Dennoch ließ auch der Zeuge K. keine Gelegenheit aus, seine damalige Rolle in der militanten Neo-Nazi-Szene zu verharmlosen. Bis zu seiner Inhaftierung im März 2001 er der Anführer der großen militanten Skinheadszene in Nürnberg. K. und Matthias F. waren eng befreundet und gaben zusammen den ‚Landser‘ heraus, eine der wichtigsten Zeitungen der militanten Neonaziszene bundesweit. In der Landser-Ausgabe Nr. 4 wurden 1998 kurz nach dem Abtauchen des NSU-Kerntrios Grüße an die Untergrundkämpfer ausgerichtet. Der Landser gehörte außerdem 2002 wahrscheinlich zu den Empfängern eines Briefs des NSU, mit dem der NSU gleichgesinnte zum Kampf aufgefordert und einen Teil seiner Beute aus verschiedenen Banküberfällen an die rechte Szene weitergereicht hat.

Die 25. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses findet am 20. März 2023 10:00 Uhr statt. Auf dem Programm steht die Vernehmung mehrerer Zeugen aus dem Bereich der Nürnberger Nachrichten und der Polizeibehörden. Für circa 14:00 Uhr ist eine Videovernehmung der Zeugin Mandy S. geplant.

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