Innenminister räumt Fehler bei NSU-Ermittlungen ein
In seiner 32. Sitzung hat der NSU-Untersuchungsausschuss den Bayerischen Staatsminister des Innern Joachim Herrmann und Yvonne Boulgarides als Zeug*innen vernommen. Der Bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Thomas Petri erstattete dem Ausschuss sein Gutachten zu der Löschung von 562.000 Datensätzen aus der Datenbank EASy des LKA, die eigentlich einem Löschmoratorium unterlagen.
Staatsminister Herrmann betonte in seinen Angaben vor dem Untersuchungsausschuss, dass er sich nicht daran erinnern könne, dass die Ceska-Mordserie im Zeitraum von seiner Amtsübernahme im Jahr 2007 bis zur Selbstenttarnung des NSU im November 2011 eine große Rolle für ihn in seiner Funktion als Innenminister mit der gespielt habe. Er begründetet diese Darstellung damit, dass es eine Vielzahl ungeklärter schwerster Straftaten gegeben habe und sich die Mordserie vor Bekanntwerden des politischen Motivs nicht von anderen „cold cases“ unterschieden habe. Weitere Taten in Bayern habe es in seiner Amtszeit nicht gegeben, daher habe auch kein Anlass bestanden, sich mit der Mordserie zu beschäftigen. Herrmann gab an, er habe sich dann erst im November 2011 mit den Taten des NSU beschäftigt. Eine Woche später habe die leitende Zuständigkeit dann aber zur Generalbundesanwalt und zum BKA gewechselt.
„Ich hätte erwartet, dass Sie bei Amtsübernahme eine Bestandsaufnahme durchführen. Die Ceska-Mordserie war auch damals schon keine gewöhnliche Mordserie. Von politischer Führung erwarte ich, dass sie Geschehen mit politischen Augen wahrnimmt, sich kümmert und der Bevölkerung erklärt, was passiert. Auch nicht zum Erfolg führende Ermittlungen müssen hinterfragt und Konsequenzen gezogen werden,“ konfrontierte Cemal Bozoğlu den Innenminister.
Ohne eigenes Verschulden erkennen zu können, räumte Herrmann ein, dass bei den Ermittlungen im Bereich Rechtsextremismus einige Fehler passiert sind. Aus heutiger Sicht müssten Ermittlungen in alle Richtungen erfolgen, solange es keine klare Spur in eine Richtung gebe. Man hätte mehr in Richtung Rechtsextremismus ermitteln müssen. Der zentrale Fehler sei es gewesen, dass das gesuchte Kern-Trio aus dem polizeilichen Blickfeld verschwunden sei. Verantwortlich dafür seien aber in erster Linie die Behörden in Thüringen.
Der Bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Petri berichtete dem Ausschuss gutachterlich, dass er die von dem Bayerischen Landeskriminalamt genannten Gründe für die unabsichtliche Löschung von 562.000 Datensätzen für plausibel halte. Bewiesen werden könnten die Angaben allerdings anhand seiner Untersuchungen nicht. Zudem benannte er Fehler in der Organisation der technischen Abteilung des LKA. So konnte nicht mehr festgestellt werden, wer ein herstellerseitig fehlerhaftes Patch aufgespielt hatte, da allen drei Administrator*innen dieselbe Kennung zugewiesen worden war. Ein eigentlich vorhandenes Reporting-Tool wurde nicht verwendet. Keiner der drei Administrator*innen habe sich erinnern können das Patch aufgespielt zu haben oder den fehlerhaften Prozess, der zu Löschungen führte, wieder gestoppt zu haben. Beide Vorgänge ließen sich anhand von Protokolldaten nachvollziehen, aber nicht personell zuordnen. Die verlorenen Daten wurden teilweise wiederhergestellt.
Frau Yvonne Boulgarides, die Ehefrau des NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides, war der Einladung des Ausschusses gefolgt, um über Ihre Erfahrungen mit den Ermittlungsbehörden zu berichten. Frau Boulgarides schilderte eindrücklich wie sie und ihre beiden Töchter, damals 15 und 18 Jahre alt, getrennt befragt und mit erfundenen Vorhalten unter Druck gesetzt wurden. Die Zeugin berichtete, die Behörden hätten so lange mit Dreck auf ihren Mann geworfen, dass sie selbst kurz davor gestanden habe zu glauben, dass ihr Mann ein Menschen- und Drogenhändler gewesen sei, der sie ständig betrogen habe. Die Ermittler hätten aus ihrer Sicht eine Strategie verfolgt, um die „Schweigemauer“ der Opferangehörigen der NSU-Morde zu brechen. Das sei Ursache für viel Belastung und Leid bei ihnen gewesen. Heute ist klar, dass all diese Vorhalte mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten. Eine öffentliche Entschuldigung von Bayerischen Verantwortlichen habe es für sie auch niemals gegeben und ihr und ihren Kindern sei keine psychologische Betreuung angeboten worden.
Die 33. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses findet am Montag, den 22. Mai 2023 in der JVA Chemnitz statt. Der Ausschuss hat die verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe zur Vernehmung vorgeladen. Die Sitzung muss aus Sicherheits- und Platzgründen nichtöffentlich durchgeführt werden. Im Anschluss an die Sitzung wird es eine hybride Pressekonferenz geben, in der über den Inhalt der Vernehmung berichtet werden wird.
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